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Kunst und Krieg

Ein Leben kann Schatten werfen

Nach Auschwitz Gedichte zu schreiben, ist nach Theodor W. Adorno barbarisch. Das jüdische Mädchen Selma Merbaum schreibt Gedichte, während im benachbarten Auschwitz der Genozid an ihrem Volk anläuft: Lyrische Gebilde gegen den ansteigenden Antisemitismus, gegen die Furcht und für ein Lebensgefühl, das den Leib ermuntert, sich zu zeigen, herauszugehen aus sich, um zu vergewissern, dass man noch lebt. 57 Gedichte entstehen, bevor sie in einem Arbeitslager der SS stirbt. Die Geschichte dieser lyrischen Zeugnisse von höchster Qualität ist als Metapher zu sehen auf die Ambiguität jeder Kunst: Wirksamkeit und Vergeblichkeit.

Selmas Gedichte, der Prozess ihres Entstehens, Versuche der Präsentation, Umstände des Verlusts, Wiederentdeckung und Aufstieg in die Ränge der Weltliteratur sind das Material einer theatralen Forschungsreise. Ausgelotet werden: Die Spannung von Darstellung und Empfindung, von Ich als dem anderen, vom Jetzt als den Koordinaten von Sein und Zeit.

Das Rahmenprogramm mit den Kooperationspartnern

Parallel zu der Stückerarbeitung appelliert eine Veranstaltungsreihe der Partner an interessierte Kreise der Stadtgesellschaft, sich umfassender und tiefer mit den Themen der Aufführung zu befassen. Im Fokus steht die Beschäftigung mit Lyrik, mit Lyrik in Bezug auf eine bestimmte historische Epoche, mit Lyrik im Kontext von Antisemitismus und Rassismus und um das Resonanzfeld Kunst und Krieg insgesamt.

Frage: Warum sind Zeiten und Räume der größten Not zugleich auch Zeiten der umwälzenden Ideen, der großen Literatur, der außergewöhnlichen Menschen? „Kunst und Krieg“ zeigt am Beispiel der jungen jüdischen Dichterin Selma Merbaum, wie Not und Enge, Macht und Willkür keinesfalls nur Angst und Ohnmacht erzeugen, sondern bei den Mutigen und Unduldsamen auch Fantasie, Widerstand und Schönheit hervorbringen können.

Schon früh begann Selma mit der Lektüre von Autoren, die großen Einfluss auf ihr eigenes Werk ausüben sollten: Heinrich HeineRainer Maria RilkeKlabundPaul Verlaine und Rabindranath Tagore. Eigene Gedichte von Selma Merbaum sind ab 1939 erhalten, da war sie fünfzehn Jahre alt. Während die totalitären Regime Rumänien, Sowjetunion und Deutschland wechselnd ihre Heimatstadt Cernowitz besetzten und terrorisierten, schrieb sie Gedichte gegen die Angst und das zunehmende Elend, bis sie mit achtzehn Jahren in einem Arbeitslager der SS am Fleckfieber starb.

Selma Merbaums Gedichte sind von beachtlicher Stilsicherheit und weitgehend von einer melancholischen Grundstimmung geprägt. Neben den Gedichten Paul Celans und Rose Ausländers gehört ihre Lyrik zum literarischen Erbe der von den Nationalsozialisten im Verbund mit den rumänischen Faschisten ausgelöschten deutsch-jüdischen Kultur der Bukowina.

Das erhaltene Werk umfasst 57 Gedichte, die sie sorgfältig mit Füller auf Einzelseiten geschrieben und zu einem Album gebunden hatte, das sie mit „Blütenlese“ betitelte. Sie widmete es ihrem Freund Leiser Fichmann, der wie sie selbst in der linken zionistischen Jugendgruppe Hashomer Hazair aktiv war. Auf dem Weg in die Deportation konnte sie das Album einem Bekannten zustecken, der es ihrer Freundin Else Schächter (1924–1995) mit der Bitte gab, es an Leiser weiterzureichen. Leiser nahm das Album, gab es aber an Schächter zurück, als er sich 1944 zur Flucht nach Palästina mit dem Motorsegler Mefküre entschloss. Der wurde am 4. August 1944 torpediert, nur wenige überlebten – Leiser nicht. Doch Selmas Gedichte blieben erhalten, weil ihre Freundinnen Renée und Else sie quer durch Europa nach Israel trugen.


Am Samstag 29. März um 19:30 Uhr im Völkerkundemuseum Heidelberg

Hauptstraße 235, 69117 Heidelberg

Lesung: 2 x Sehnsucht

Lesung mit Gedichten von Selma Meerbaum und Feldpostbriefen ihrer Mörder
Beitrag des Ak.T-Theaters Heidelberg in Kooperation mit dem Völkerkundemuseum vPSt zu den Internationalen Wochen gegen Rassismus.
Die Rollen sind klar verteilt: Hier das jüdische Mädchen, „in Sehnsucht eingehüllt“, weil ihm zuerst die jugendliche Unbeschwertheit und dann das Leben genommen werden. Dort der junge Mann, der tagtäglich Menschen hinrichtet und dessen „Sehnsucht wächst und wächst“ nach den Lieben zuhause. Das gleiche Empfinden kann unterschiedlicher nicht sein. Sind es solche Abgründe, die das Böse banal erscheinen lassen?

Mit Helga Karola Wolf, Ally Gergen und Nele Kiau
Text und Einrichtung Christiane Adam und Hubert Habig

Eintritt: 10,- / 6,- €; Kartenreservierung bitte per E-Mail unter chradam@gmx.de

Weitere Veranstaltungen sind von Anfang Mai bis Anfang Juni im Interkulturellen Zentrum zur Veranstaltungsreihe „Kunst und Krieg – Erinnerungskultur und Antisemitismus“ geplant.

Premiere der Theaterproduktion

„Kunst und Krieg. – Ein Leben kann Schatten werfen“

ist am Freitag 6. Juni 2025 um 20:00 Uhr im Karlstorbahnhof (TiK)

Marlene-Dietrich-Platz 3, 69126 Heidelberg

Dieses Projekt wird ermöglicht durch die Projektföderung der Baden-Württemberg Stiftung und des Landesverbands Freie Tanz- und Theaterschaffende Baden-Württemberg (LaFT BW) e.V. Sowie die Sparkasse Heidelberg und die Heidelberger Volksbank.